Orthostatenreliefs der Hethiter

Orthostatenreliefs der Hethiter
Orthostatenreliefs der Hethiter
 
In der hethitischen Großreichszeit wurden die Wände der Gebäude im Allgemeinen nicht mit Reliefs verziert. In Yazɪlɪkaya, wo eine Felskammer den Kultraum des Tempels bildete, dienten die Felsen als Träger für die Darstellungen der Götter und nur einige Spalten im Felsen füllte man mit reliefierten Steinblöcken aus. Im Übrigen kannte man neben den Felsreliefs vor allem reliefverzierte Stelen.
 
Nur ein größeres Ensemble mit Wandreliefs ist aus der hethitischen Großreichszeit bekannt: das Sphingentor von Alaca Hüyük. Wenn es zutrifft - und das ist aufgrund der Zurichtung der Steinblöcke wahrscheinlich -, dass die Reliefs in zwei Reihen übereinander angebracht waren, dann zeigt dies, dass die auf der in Syrien entwickelten Orthostatentechnik beruhende Sitte, nur den Sockel der Wände mit Reliefdarstellungen zu verzieren, in Anatolien offenbar nicht heimisch geworden ist. Vorbilder für eine Reliefverzierung von Gebäuden gab es im Übrigen in Vorderasien nirgends. Vielleicht ging die Anregung hierzu von Ägypten aus, wo sich diese Art des Dekors nicht nur auf die Sockelzone beschränkt.
 
Die Reliefs aus Alaca Hüyük sind in Stil und Konzeption einheitlich. Dargestellt werden im unteren Bildstreifen Kultszenen, die sich wahrscheinlich auf eines der im jährlichen Rhythmus stattfindenden Feste beziehen. Zu beiden Seiten der Tortürme sind der durch den Stier verkörperte Wettergott und eine weibliche Gottheit, vielleicht die Sonnengöttin von Arinna, das Ziel einer Prozession von Gabenbringern; an der Spitze des einen Zuges schreiten König und Königin. In der Reihe darüber waren, in zwei Bildstreifen untergliedert, sehr lebendige Jagdszenen dargestellt. Die Verbindung von Jagd- und Kultszenen ist im Bereich der hethitischen Kunst nicht ungewöhnlich; Parallelen hierzu gibt es bei Siegelbildern. Im Übrigen finden sich auf den reliefierten Tongefäßen der althethitischen Zeit umfangreiche Darstellungen von Kulthandlungen, die alle die Elemente enthalten, die auch in Alaca Hüyük vorkommen.
 
Reliefs dieser Art sind in Alaca Hüyük offenbar nicht nur am Sphingentor angebracht worden. Einige Stücke, die nicht mehr an ihrer ursprünglichen Stelle aufgefunden wurden, lassen sich nicht an diesem Bauwerk unterbringen. Dazu gehört auch eine Gruppe, die wie eine Torfigur von vorne rundplastisch, in der Seitenansicht als Relief ausgeführt ist: ein Löwe, der ein Rind angreift, ein Thema, das sich eigentlich eher für eine Reliefdarstellung eignet.
 
Stilistisch unterscheiden sich diese Reliefs deutlich von dem größten Teil der Bildwerke der späten Großreichszeit aus Hattusa. Kennzeichnend sind die unausgewogenen Proportionen, die Hände und Arme fast wie verkümmert erscheinen lassen, die ungeschickte Wiedergabe der sitzenden Haltung, der Verzicht auf eine einheitliche Standlinie und die Einschichtigkeit des verhältnismäßig flachen Reliefs. Für diese Eigenheiten gibt es auch bei den Felsreliefs keine genauen Entsprechungen. Die auffallende Lebendigkeit der Jagdszenen mit ungewöhnlichen Körperhaltungen der Tiere findet eine Parallele bei der Schale aus Kɪnɪk aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, die jedoch stilistisch sonst eher den Werken aus Hattusa nahe steht. Häufig wird für die Reliefs von Alaca Hüyük wegen des altertümlich wirkenden Stils eine Datierung in das 14. oder das frühe 13. Jahrhundert vorgeschlagen; der Kopf der halb rundplastischen Löwenfigur hat jedoch eine recht genaue Entsprechung unter Bruchstücken von Bildwerken aus den Tempeln der Oberstadt von Hattusa, die kaum vor der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sein können.
 
Die Ausschmückung einer Toranlage mit reliefierten Steinblöcken wiederholt sich bei dem Löwentor von Malatya, das schon in die Zeit nach dem Ende des hethitischen Großreichs zu datieren ist. In den Einzelheiten der dargestellten Trachtelemente zeichnen sich Veränderungen ab, die zu der späthethitischen Kunst des 1. Jahrtausends v. Chr. überleiten. Dargestellt ist bis auf eine mythologische Szene ausschließlich die Libation (Trankspende) des Herrschers oder der Königin vor den verschiedenen Gottheiten des Pantheons; in ihrer Ikonographie lehnen sich diese Reliefs noch eng an die großreichszeitliche Kunst an. Auch die Art, wie bei einigen der Reliefs der Name des Königs und die Götternamen vor die dargestellten Figuren gesetzt sind, entspricht der Tradition der Kunst des 13. Jahrhunderts. Der Stil wirkt gegenüber der wohl nicht viel mehr als ein Jahrhundert älteren Reliefkunst von Yazɪlɪkaya provinziell: Dem Relief fehlen die Tiefenerstreckung und die plastische Modellierung. Die Figuren sind jedoch ausgeglichen proportioniert.
 
In Nordsyrien hat es vermutlich schon zur Zeit des Großreichs vor allem in Karkemisch, der Residenz der hethitischen Vizekönige, Wandreliefs gegeben. Die Technik, den Mauersockel mit Steinplatten zu verkleiden, wurde in Nordsyrien schon in den ersten Jahrhunderten des 2. Jahrtausends entwickelt. Wann diese zunächst unverziert gebliebenen Orthostaten erstmals mit Reliefs geschmückt wurden, lässt sich zwar bisher nicht nachweisen, doch spricht manches dafür, dass dies zugleich mit der Anpassung der hethitischen Kultur an syrische Traditionen erfolgte. In Alalach wurde jedenfalls ein erstes, noch sehr grob gearbeitetes Orthostatenrelief der Großreichszeit gefunden.
 
Der Tempel von Ain Dara ist dann der erste monumentale Bau mit einem umfangreichen Reliefschmuck, bei dem sich höchste handwerkliche und künstlerische Qualität miteinander verbinden. Am Sockel der Umgangshalle, die wahrscheinlich wenig später als der Kernbau errichtet wurde, sind in gleichförmiger Reihung und symmetrischer Anordnung Reliefs mit Löwen und Sphingen angebracht. Mit ihren fast rundplastisch gestalteten Köpfen, die sich, aus der Reliefebene gedreht, dem Betrachter zuwenden, erinnern sie an die Türlaibungsfiguren der Fassade. Auf den Orthostaten aus dem Inneren des Gebäudes sind antithetische Gruppen jeweils mit einem Berggott zwischen zwei Stiermenschen, Löwenmenschen oder Vogelmenschen dargestellt. Sowohl die Ikonographie der Berggötter und der Mischwesen als auch der sehr plastische, modellierende Stil, der besonders bei den Köpfen zu beobachten ist, verbinden diese Bildwerke eng mit der Kunst der hethitischen Großreichszeit. Aus dem Vorraum des Tempels stammt ein leider nicht vollständig erhaltenes Relief, auf dem die kriegerische Ischtar in der gleichen Form dargestellt ist, in der sie auch auf den Felsreliefs von Yazɪlɪkaya erscheint.
 
Im frühen 1. Jahrtausend v. Chr. erlebt dann die Stadt Karkemisch eine neue Blüte. Hier gab es zahlreiche Inschriften in hethitischen Hieroglyphen, die das Fortleben der Traditionen der Vizekönige des 2. Jahrtausends ebenso bezeugen wie die zahlreichen Orthostaten, die an den Außenwänden der offiziellen Gebäude im Kern der Stadt angebracht waren.
 
Bei den Reliefs lassen sich zwei große Gruppen voneinander trennen, die verschiedene Stufen der künstlerischen Entwicklung repräsentieren; innerhalb dieser Gruppen kann man dann noch weiter differenzieren. In der älteren Stufe gibt es ganz unterschiedliche Sujets. Die Reliefs auf der Südseite der zum Tor am Fluss führenden Straße bieten Bilder aus dem Bereich des Mythos; neben dem Eingang zu einem Tempelbereich ist eine Prozession dargestellt, mit einer thronenden Göttin an der Spitze. Neben dem Treppenaufgang zum Palast waren Platten mit den Bildern der höchsten Gottheiten des Pantheons angebracht; dahinter folgen an der Außenwand eines Tempelbezirks Streitwagen, die über getötete Gegner hinwegrollen, und Fußtruppen. Die mit einer langen Inschrift verbundene Figur des Königs Katuwas, der am Ende des 10. oder Anfang des 9. Jahrhunderts regiert haben muss, hat dieser Stilgruppe den Namen gegeben, obwohl der größte Teil der Reliefs schon unter seinem Vater Suhis entstanden ist.
 
Die jüngere Stilgruppe gehört in die Zeit des Königs Yariri, der vermutlich in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts regiert hat. Sie wird durch die Relieffolge an einer vorgebauten Bastion neben dem Eingang zu einem Tempelbereich repräsentiert. Hier ist auf der Schauseite die königliche Familie dargestellt; in der Inschrift neben der Platte mit den beiden Hauptfiguren ist von der Einsetzung des Kronprinzen durch seinen Vater die Rede. Gegenüber der ersten Stilgruppe ist eine stärkere Plastizität und eine deutliche Längung der Figuren zu bemerken; Haartracht und Gewänder sind differenziert ausgeführt. In manchen Einzelheiten macht sich der Einfluss der assyrischen Kunst dieser Zeit bemerkbar.
 
Neben Karkemisch gab es im frühen 1. Jahrtausend in Nordsyrien eine Anzahl weiterer Stadtstaaten, deren Herrscher an öffentlichen Gebäuden Reliefschmuck anbringen ließen. Dabei dominiert im 10. und 9. Jahrhundert die hethitische Tradition in der Auswahl der Themen und der Ikonographie auch dort, wo andere Bevölkerungsgruppen, vor allem Aramäer, die Herrschaft übernommen hatten. Besonders gut sieht man das in Samal, wo der Reliefschmuck des Burgtores möglicherweise unmittelbar dem Vorbild der Kunst von Karkemisch folgt. Der Wettergott mit der Axt in der erhobenen rechten Hand bildet zusammen mit einem zweiten kriegerischen Gott und zwei weiblichen Gottheiten eine Vierergruppe, wie sie auch in Karkemisch neben dem Aufgang zum Palast dargestellt war; der Herrscher mit dem langen Stab in der vorgestreckten Hand erinnert an das Bild des Katuwas und auch der über den getöteten Feind fahrende Streitwagen fehlt in Samal nicht. Auch in der Art der Reliefierung und den Einzelheiten von Haar, Bart und Tracht entsprechen einige der Reliefs denen aus Karkemisch weitgehend; bei anderen Figuren, wie zum Beispiel der des Herrschers, sind Bart und Haar anders dargestellt, das Profil des Gesichtes zeigt einen schärferen Knick; vielleicht treten hierin ältere, einheimische Traditionen in Erscheinung. Im 8. Jahrhundert entstehen dann in Samal ganz andere Denkmäler einer höfischen Reliefkunst, in der sich Einflüsse der Kunst der allmählich ganz Syrien dominierenden Assyrer mit syrischen Elementen mischen, die von manchen Forschern als aramäisch bezeichnet werden. Sie zeichnen sich durch eine sehr reiche Ausführung von Details bei Haar und Bart, Gewändern und Möbeln aus, und auch wenn das Relief insgesamt nicht sehr kräftig ist und manche Partien ausgesprochen flach erscheinen, sind die Gesichter doch sehr lebendig modelliert.
 
Die Reliefs aus Karatepe, der in den Vorbergen des Taurus gelegenen Residenz eines Kleinkönigs von Kilikien, verteilen sich auf zwei deutlich voneinander unterschiedene Stilgruppen, obwohl sie nebeneinander an den beiden Stadttoren angebracht sind. Bei der Darstellung eines Gastmahls am Südtor bilden sogar zwei ganz verschieden gearbeitete Platten ein Ensemble. Während die linke Platte mit dem Zug der Gabenbringer und der Musikanten an die Reliefs des 8. Jahrhunderts aus Samal erinnert, sind bei dem am Speisetisch sitzenden Fürsten und seinen Dienern eine ganz andere Gesichtsbildung, Führung des Umrisses und Körperhaltung zu bemerken. Durch eine Verschiebung der Achsen und eine leichte Schrägstellung der Schultern wird bei den Bildwerken dieser Gruppe eine Lebendigkeit erzielt, die dem hethitischen Relief sonst fremd ist. Auch in der Einführung neuer Motive ist hier ein Einfluss der phönikischen Kunst zu erkennen, die durch die Handelsaktivitäten der Küstenstädte am Ostrand des Mittelmeers weite Verbreitung gefunden hatte.
 
Prof. Dr. Winfried Orthmann

Universal-Lexikon. 2012.

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